
SANITÄR+HEIZUNGS
KOMMENTAR
Deutschland gilt als eines der
reichsten Länder der Welt, das
wird immer wieder von der Politik
herausgestellt. Das Land erlebt
einen bedeutenden, wirtschaftlichen
und sozialen Umbruch
und bemüht sich um Orientierung.
Am deutlichsten erkennt
man dies in der Landwirtschaft
und im Handwerk. Dazu haben
u. a. zwei Weltkriege, dann die
Teilung, später die Wiedervereinigung
Deutschlands 1989/90
und zuletzt die Corona-Pandemie
beigetragen. Nun kam eine
Hochwasserkatastrophe.
In den einhundert Jahren zwischen
1890 bis 1990 ist in
Deutschland durch Strukturwandel
der Dienstleistungsmarkt von
ca. 22 % auf ca. 58 % angewachsen.
Im gleichen Zeitraum
sind die Entwicklungen in der Industrie
von ca. 38 % auf ca. 39 %
gestiegen. Die Landwirtschaft ist
von ca. 40 % auf ca. 20 % geschrumpft.
Wohl kaum ein anderer Handwerkszweig
hat nach der Wende,
aufgrund des Baubooms, einen
solchen Aufschwung genommen
wie die Gewerke. Gas- und
Wasserinstallation und Heizungs-,
Klima- und Lüftungsbau. Viele Betriebe
aus der Branche „machten
nach der Wende rüber“ in den
Osten. Eine Art „Goldgräberstimmung“
war ausgebrochen. Erleben
wir jetzt durch die Flutkatastrophe
in der Eifel (Rheinland-Pfalz
und Nordrhein-Westfalen) eine
ähnliche Entwicklung? Aus vielen
Bereichen von Deutschland,
aber auch aus Polen, Rumänien
und Bulgarien engagieren sich u.
a. Anlagenmechaniker zusätzlich,
reisen an und sind tätig. Dabei
hat sich aber auch durch die hohe
Nachfrage eine nicht angepasste
Preisgestaltung entwickelt. Es stellt
sich die Frage, warum sich gerade
das Installateur-Gewerk da besonders
abhebt. Sind bisher Preisnachlässe,
Sonderangebote und
Internethandel vor allem in ländlichen
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Bereichen mit Niedrigpreisen
die Regel geworden, etabliert sich
derzeit der Begriff „Mondpreise“.
Das tut dem Berufsstand nicht
gut und prägt einen schlechten
Ruf. Während der Interessierte im
Großhandel oder Baumarkt den
Preis für Installationsware akzeptiert,
glaubt er vielfach beim heimischen
Handwerker noch handeln
zu können.
Warum hier die Basar-Mentalität?
Der Rückgang von Fachkräften
und eine intensive Nachfrage bei
Hausrenovierungen lassen jetzt
eine Hochkonjunktur erkennen.
Dabei hat die Pandemie einen besonderen
Nebeneffekt, den Arbeitsmarkt
betreffend, ausgelöst.
Ein höherer Freizeitwert schafft in
Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung
neue Möglichkeiten der Nebentätigkeiten.
Es beleben sich
dabei die Nachbarschaftshilfe
und Freundschaftsdienste. In Anbetracht
eines Mangels an Fachkräften
greift man gerne auf das
Angebot des hilfreichen Nachbarn
zurück. Die Handwerker
sind ja voll mit Aufträgen. Noch
begünstigen Internethandel und
Baumärkte den Direktkauf für
den Endverbraucher, wobei sich
der eingetragene Handwerker
immer mehr auf den Einbau von
vom Kunden gestellten Produkten
einstellen muss. Schließlich übernimmt
er dabei die Gewährleistung
und damit die gesamte Verantwortung.
Der Handwerksberuf Anlagenmechaniker
nach HWO-Anlage
A, zusammengeführt 2006 aus
den Gas-Wasser-Installateuren
und den Heizungs-Lüftungsbauern,
stellt eine hohe Anforderung
an die Ausführenden dar. Der Rahmenlehrplan
vom 23.02.2018 und
vorher sieht 13 Lernfelder vor, die
in 3 ½ Jahren zu erlernen sind.
Dazu die praktische Ausbildung.
Durch die EnEV und verschiedene
technische Entwicklungen wie Solarthermie,
Wärmepumpe, BHKW,
Brennstoffzelle und regeltechnische
Ergänzungen sind viele neue
Themen dazugekommen, die der
Anlagenmechaniker perfekt beherrschen
soll. Diese Anforderungen
an den fachlichen Nachwuchs
sind in Theorie und Praxis zu erfüllen,
um eine Gesellenprüfung zu
bestehen. Später folgen die hohen
Anforderungen auf gleichem
Niveau bei der Ausbildung zum
Meister. Schließlich handelt es sich
dazu noch um einen Gefährdung
geneigten Beruf mit erhöhter Unterweisung
in Unfallverhütung
und Unfallschutz, die zur Ausbildung
dazu gehören. Es überrascht
nicht mehr, dass der zunächst Interessierte
am Beruf Anlagenmechaniker
wegen der hohen Anforderungen
einen anderen Ausbildungsberuf
vorzieht. Wer will sich
denn schon später bei gleitender
Arbeitszeit (Notdiensten) und individuellen
Arbeitseinsätzen dieser
Verantwortung aussetzen?
Und schmutzig wird man in diesem
Beruf auch noch!
Hinzu kommt, dass der Anspruch
der Kunden stetig wächst, und
damit wachsen auch die Anforderungen
an Beratung und Ausführung
und das Vermögen, sich
auf den Kunden einzustellen.
Wenn das allgemeine Werben für
den Beruf größer ist, als es Interessierte
anspricht, befindet sich der
Berufsstand in einer schwierigen
Entwicklung auf die Zukunft gesehen.
Eine solche Situation belastet
auf Dauer das soziale Leben,
beeinträchtigt die Dienstleistung
und die Aufrechterhaltung der
handwerklichen Fähigkeiten und
Fertigkeiten nach den Gesichtspunkten
des Klimaschutzes und
die Arbeitseinstellung. Erfahrungen
und Kenntnisse, wie früher
überliefert, nehmen ab, schließlich
verlieren sie sich. Der Kundendienst
in seiner steten Bereitschaft
verlangsamt und verzögert sich, ist
schwieriger erreichbar, wie bereits
in den Städten und er wird teurer.
Ist der Anlagenmechaniker noch
immer ein Traumberuf für viele?
Auch hohe Verdienstmöglichkeiten
geben nicht immer den Ausschlag,
sich für diesen Beruf zu entscheiden.
Und die herausgestellten
Champions im Handwerk bilden
eben nur die löbliche Ausnahme.
Der Entwicklung nach wird immer
mehr die Ausbildung in der Verwaltung
nachgefragt. Der Wunsch, in
diesem Bereich zu lernen und seinen
Beruf zu finden, bietet eine
gewisse Sicherheit, dazu in feinem
Outfit, mit geregelter Arbeitszeit
und Urlaub. Hierin sehen immer
mehr junge Menschen eher eine
zukunftsweisende Option für das
Berufsleben mit erstrebter Absicherung.
Der Sozialstaat befindet
sich im Wandel von Selbstverwirklichung
und Selbstgestaltung der
einzelnen Bürgerinnen und Bürger.
Wo sich Home-Schooling, Home
Working und Home-Studium
zum individuellen Leben gewandelt
haben, verliert sich das soziale,
gesellschaftliche Leben und
damit die Gemeinschaft, das Bewusstsein
des Miteinanders. Wo
sich der Anspruch auf Individualisierung
im Ego verliert, gehen Organisationen
zurück und werden
kleiner. Schließlich lösen sie sich
auf und damit verliert sich die Bindung.
Verliert sich die politische Interessenwahrnehmung,
reduzieren
sich die großen Parteien und gehen
in kleine Interessengruppen über.
Was nicht positiv vor- und nachgelebt
wird, verändert ein System. Damit
werden die Berufsstände Bauer
und Handwerker und damit die
Demokratie einen neuen Weg gehen
und erleben. Der digitale Weg
mit Neben- und Auswirkungen ist
nicht mehr aufzuhalten oder zu
kontrollieren. Er bestimmt die Zeit-
einteilung, den Takt, den Lebensrhythmus
und beeinflusst das Denken,
ist Algorithmus. Das Arbeiten
müssen wir nicht neu erfinden, es
wird anders wahrgenommen, verändert
sich nur.
Paul-Gerhard Wagner
Oberhausen /Kirn
Veränderungen