
DI E INT IMSPHÄRE
Es gibt kaum einen Bereich, der den Menschen wichtiger ist als
ihre Intimsphäre. Jemanden anzufassen oder von jemandem
angefasst zu werden, das allein schon erfordert sehr viel Vertrautheit
und Akzeptanz. Unser Schamgefühl beeinflusst dabei
maßgeblich die Toleranz für das, was wir bereit sind zuzulassen
oder auch zu übernehmen. Und Scham gewinnt umso mehr
an Bedeutung, je näher sich Pflegender und Pflegebedürftiger
emotional sind. Es widerspricht nun einmal dem gewohnten
menschlichen Miteinander, sich als Erwachsener z. B. von seinen
erwachsenen Kindern waschen oder auf die Toilette begleiten
zu lassen. Oder seinem Ehepartner das Essen anzureichen.
Nacktheit, Ausscheidungen, Gerüche, Hilflosigkeit … all das ist
verbunden mit eben dieser Scham, aus der sich nicht von ungefähr
das Wort „schämen“ ableitet. Wichtig ist demnach für
Pflegende und Pflegebedürftige, gemeinsam die Grenzen
der Intimsphäre zu bestimmen. Und – wenn erforderlich
und machbar – auch gemeinsam festzulegen, wie weit man sie
verschiebt. Immer natürlich unter der Maßgabe, die Eigenständigkeit
der Pflegebedürftigen zu erhalten und zu fördern.
PERSÖNL ICHES WOHL FÜHLEN
Wohlfühlen ist subjektiv. Was dem einen gefällt, ist dem anderen
vielleicht zuwider. In der Pflege kommt es jedoch in erster
Linie darauf an, dass sich die Pflegebedürftigen wohlfühlen. Eine
gute Grundlage dafür ist geschaffen, wenn Gewohntes oder
Liebgewonnenes so gut wie möglich beibehalten wird. Wenn
vertraute Alltagsroutinen und Abläufe erhalten werden. Und
gerade die vielen „kleinen Dinge“ sind es, die hier einen großen
Beitrag zum Wohlfühlen leisten können. Das Lieblingsduschgel,
das man so gerne benutzt, das Eincremen nach dem Bad, die
Zeitung, in der man beim Frühstück immer blättert, der kurze
Spaziergang im Anschluss an den Nachmittagskaffee – all das
und vieles mehr trägt in großem Maße dazu bei, dass man sich
wohlfühlt. Für Pflegende kommt es demnach darauf an, auf
diese Angewohnheiten – oder nennen wir es liebevoll „kleinen
Marotten“ – der Pflegebedürftigen so gut wie möglich einzugehen.
Sie durchaus sogar zu fördern, wenn dadurch das Selbstwertgefühl
und die Selbstständigkeit gesteigert werden können.
V O N K O P F B I S F U S S
Körperpflege ist in vielerlei Hinsicht ein ganz besonders sensibles
Thema. Nicht zuletzt, weil hierbei fast zwangsläufig die
Intimsphäre der Pflegebedürftigen berührt wird. Aber schon
mit dem Schließen der Tür oder dem Bedecken der Körperteile,
die nicht gewaschen werden, können Sie dazu beitragen, dass
die Situation für Pflegebedürftige etwas weniger unangenehm
ist. Ebenso empfiehlt es sich, die Körperpflege als immer gleich
ablaufenden Prozess zu gestalten. Dazu gehört beispielsweise,
von oben nach unten „zu arbeiten“. Also mit dem Waschen von
Gesicht und Hals zu beginnen. Oder das Zähneputzen als Beginn
oder Abschluss fest zu etablieren. Jeder Mensch hat hier seine
eigenen gewohnten Abläufe, auf die Sie eingehen sollten. Und
nutzen Sie diese Abläufe auch, um die Eigenständigkeit des
Pflegebedürftigen zu fördern: Indem Sie z. B. die Zahnpasta zwar
auf die Zahnbüste auftragen, ihn das Zähneputzen aber selbst
ausführen lassen.
Die Körperpflege lässt sich übrigens auch sehr gut als
Wohlfühl-Moment im Tagesablauf integrieren. Ein kleines
Beispiel dazu: die Waschrichtung. Eine sanfte Waschung, in
Wuchsrichtung der Haare ausgeführt, wirkt beruhigend, gegen
die Wuchsrichtung aber belebend. Beim Waschen stimulieren
zudem Reize wie Berührung, Wärme, Kälte und Druck die Haut
und ermöglichen das Erspüren des eigenen Körpers. Besonders
für stark bewegungseingeschränkte und bettlägerige Menschen
ist die Körperpflege daher auch eine wichtige Möglichkeit, die
eigenen Körperstrukturen wieder zu erspüren.
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PFLEGE ZU HAUSE